Der Voice Dialogue

Voice Dialogue – Die Entwicklung

Voice Dialogue oder die „Psychologie der Selbste” wurde in den 1970er-Jahren von den US-amerikanischen Psychologen Drs. Hal und Sidra Stone begründet. Die Methode beruht auf der Vorstellung, dass sich unsere Persönlichkeit aus vielen verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Stimmen zusammensetzt. Stimmen, die jede für sich ein eigenes Körpergefühl, eigene Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen ausprägen. Aus ihrer eigenen Beziehungsarbeit heraus entwickelten die Stones eine Gesprächsmethode, um die facettenreiche Welt der inneren Stimmen zu erkunden und ein „Bewusstes Ich“ zu entwickeln. Sie schufen damit eine Möglichkeit, die sogenannten Hauptstimmen bewusst wahrzunehmen und verdrängten Persönlichkeitsanteilen neuen Raum zu geben. Die Methode wird weltweit kontinuierlich weiterentwickelt. Eingesetzt wird Voice Dialogue in verschiedenen Bereichen von Psychotherapie, Beratung, Coaching und Körperarbeit sowie in der Business- und Organisationsberatung.

Voice Dialogue – Theoretische Grundlagen

Hal und Sidra Stone – geschult in der Persönlichkeitstheorie C. G. Jungs – beobachteten, dass das Denken, Fühlen und Handeln von einigen wenigen Stimmen bestimmt wird, den so genannten Hauptstimmen (Primary Selves). Diese starken Stimmen bilden sich bereits in der frühkindlichen Entwicklung heraus und basieren auf individuelle Lebenserfahrungen. Im westlichen Kulturkreis sind dies häufig Stimmen wie „der Antreiber“, „der Kritiker“, „die fürsorgliche Mutter” oder „der Anpasser“. Ein „inneres Team“ von solchen Hauptstimmen gibt Werte, Normen und Regeln vor und verdrängt bestimmte Persönlichkeitsanteile mit entgegengesetzten Verhaltensweisen, Energien und Bedürfnissen. Diese „verdrängten Stimmen“ (Disowned Selves) lösen sich aber nicht auf, sondern existieren im Verborgenen weiter. Heilende HaendeAgieren die Hauptstimmen und verdrängten Anteile unbewusst, laufen immer wieder Automatismen und stereotype Verhaltensmuster ab. Mit Voice Dialogue haben Hal und Sidra Stone eine Möglichkeit geschaffen, die Hauptstimmen bewusst wahrzunehmen, sich von ihnen zu lösen (Desidentifikation) und den verdrängten Anteilen wieder Raum zu geben (Integration). Desidentifikation und Integration ermöglichen, ein „Bewusstes Ich“ zu entwickeln – eine Mitte zwischen den gegensätzlichen Anteilen. Dies ist ein fortlaufender Prozess (Aware Ego Process), der die Entwicklung der Persönlichkeit begleitet. Es entstehen Wahlmöglichkeiten und bewusste Verhaltensalternativen. Mit Voice Dialogue lassen sich auch Persönlichkeitsanteile in Beziehungen bearbeiten (the Selves in Relationships). Hal und Sidra Stone sprechen von „Bindungsmustern” (bonding patterns) und meinen unbewusste Eltern-Kind-Interaktionen zwischen Persönlichkeitsanteilen zweier Menschen. Da nicht die Personen selbst, sondern einzelne Anteile interagieren, haben die Beteiligten kaum eine Chance, diese Muster aufzulösen. Mit Voice Dialogue gelingt es, auch in Beziehungen ein Bewusstes Ich zu entwickeln. Diese verschiedenen Ebenen der Voice-Dialogue-Methode beschreiben Hal und Sidra Stone in ihrer umfassenden Psychologie der Selbste (Psychology of Selves).

Kontraindikationen

Sofern Begleiter keinen psychologischen oder psychotherapeutischen Hintergrund haben, können psychische Erkrankungen und Störungen – Psychose, Depression, Persönlichkeitsstörungen usw. – Kontraindikationen sein. Gegebenenfalls müssen Personen zu kompetenten Spezialisten überwiesen werden. Voice Dialogue kann in keinem Fall ärztliche, heilpraktische oder psychologische Diagnostik und Behandlung ersetzen.

Therapieart

Voice Dialogue ist eine Form von Aufstellungsarbeit, eine systemische Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen sowie einer zentralen Position der Mitte, dem Bewussten Ich. Im Dialog mit den inneren Stimmen wird eine Desidentifikation von den Hauptstimmen / Schutzstimmen sowie eine Integration von bisher verdrängten Anteilen erreicht. Kernelement der Arbeit ist der Prozess der Entwicklung eines Bewussten Ichs (Aware Ego Process). Der Umgang mit den spezifischen Energien verschiedener Anteile ist ein wichtiger Teil der Arbeit. In verschiedenen Anwendungsrichtungen wird Voice Dialogue unter anderem mit Bewegungs- und Körperarbeit kombiniert (Voice Dance, Mind Body Dialogue) oder zur Arbeit mit Körpersymptomen angewendet (Conscious Body, Body Dialogue). Andere Ansätze kombinieren Voice Dialogue mit Typologien nach C. G. Jung (l’Intelligence de Soi) oder mit spirituellen Richtungen (Transpersonal Dialogue). In der Gruppenarbeit werden auch Voice-Dialogue-Prozesse mit Stellvertretern eingesetzt (Voice Constellation, Voice Drama).

Therapieform

In einer Voice-Dialogue-Einzelsitzung bittet der Therapeut – im Voice Dialogue-Begleiterin / Begleiter genannt – den Klienten, seine einzelnen Persönlichkeitsanteile auszumachen und mit jedem Anteil einen bestimmten Platz im Raum einzunehmen, damit er sich dort entfalten kann. Die inneren Anteile, die sich zeigen, werden in keiner Weise bewertet oder gedrängt, ihr Verhalten zu verändern. Sie werden vielmehr respektvoll gefragt, welches ihre Eigenschaften und Bedürfnisse sind, welche Rolle sie einnehmen. In einer Sitzung werden immer zuerst die Hauptstimmen angesprochen. Die Begleitung bittet den Klienten, in die für das Thema relevante Hauptstimme einzutauchen und sie ganz präsent sein zu lassen – im Körper, in der Stimme, in der Energie, in den Worten und Bildern. Jede Stimme, jeder innere Anteil ist wie eine eigenständige Person mit der ihr eigenen Ausstrahlung. Nach jedem Dialog mit einer Teilpersönlichkeit kehrt die Klientin oder der Klient an den Platz in der Mitte zurück. Dieser Platzwechsel ermöglicht die Desidentifikation von Anteilen und wird von der Begleitung energetisch unterstützt.
Die gelungene Ablösung ist meist sehr direkt spürbar, sowohl für Klientinnen und Klienten wie für die Begleitung. Oft tauchen darauf gegensätzliche Energien auf, die nun kennengelernt und integriert werden können. Das Bewusste Ich zu entwickeln, ist das eigentliche Ziel von Voice Dialogue. Die Gegensätze im sich erweiternden Spektrum der Persönlichkeit bleiben stehen, werden energetisch erlebt und von der Mitte her neu erfahren. Die Klientinnen und Klienten beginnen, ihre verletzlichen Anteile und inneren Kinder einzubeziehen – ein Schlüssel zu Intimität und Nähe. Dieser Artikel ist entnommen aus dem Compendium für Complementär-Medizin Ausgabe 2011. Das Compendium kann unter www.comedverlag.de bestellt werden.